Die Charité im Dritten Reich

In der Medizinischen Fakultät stieß der NS-Staat weniger auf Ablehnung als auf bereitwillige Unterstützung.

Geleitwort des Vorstandvorsitzenden der Charité - Universitätsmedizin Berlin


Im Zusammenhang mit ihrem DFG-Projekt zu den Auswirkungen politischer Umbrüche auf die medizinische und wissenschaftspolitische Entwicklung an der Charité 1933 und 1945 konzipierten und organisierten Sabine Schleiermacher und Udo Schagen, Institut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin der Charité, 2006 und 2007 eine Ringvorlesung, die sich auf die Zeit des Nationalsozialismus bezog. Unter Einbeziehung zahlreicher Institute und Kliniken wurden aktuelle Forschungsergebnisse gebündelt, neue Fragestellungen generiert und die Bedeutung von Erinnern und Gedenken im Rahmen einer modernen Hochleistungsmedizin diskutiert. Die ausgearbeiteten Ergebnisse der Ringvorlesung wurden im Jahre 2008 in dem Sammelband „Die Charité und das Dritte Reich. Zur Dienstbarkeit medizinischer Wissenschaft im Nationalsozialismus“ publiziert.

Handelte es sich bei Erscheinen dieses Buches - wie die Autoren schreiben - noch „… um die erste umfangreichere Publikation, in der der Versuch unternommen wird, einen Überblick über die Entwicklung der Berliner Medizinischen Fakultät anhand des Verhaltens ihrer wichtigsten Fachvertreter während des Nationalsozialismus zu geben“, ist die hier vorgelegte zweite, revidierte Auflage heute in das Gesamtkonzept „GeDenkOrt.Charité – Wissenschaft in Verantwortung“ eingebettet und als online-Version im Internet einer breiten Leserschaft zugänglich.

Viele leitende Mediziner der Charité und der Friedrich-Wilhelms-Universität machten in der Zeit des Nationalsozialismus ihre Kliniken und Institute zu Orten der NS-Rassen-, Leistungs- und Vernichtungsmedizin. Teile der Ärzteschaft und des pflegenden Personals folgten bereitwillig den Paradigmen des herrschenden Regimes. „Nicht-arische“ und politisch missliebige Kolleginnen und Kollegen wurden geächtet, entlassen und vertrieben. Daher ist es uns überaus wichtig, uns mit diesem Kapitel der Charité-Geschichte transparent und öffentlich auseinanderzusetzen. Wir lernen aus der Geschichte nur, wenn wir den Bezug zur Gegenwart herstellen und Gefährdungen thematisieren, die auch der modernen Medizin immanent sind.

Mit der Einrichtung eines „GeDenkOrt.Charité“ zum Thema „Wissenschaft in Verantwortung“ auf dem historischen und damit authentischen Campus in Berlin Mitte will die Charité eine lang bestehende Lücke in der Erinnerungskultur schließen und eine auch öffentlich wahrnehmbare Haltung zum Ausdruck bringen: Die universitäre Medizin soll konkret darauf verpflichtet werden, sich in Forschung, Lehre und Krankenversorgung mit der nationalsozialistischen Geschichte der Charité auseinanderzusetzen. Der „GeDenkOrt.Charite“ soll über Rituale hinausgehen und offene, andauernde und nachhaltige Diskurse zum Thema „Wissenschaft in Verantwortung“ ermöglichen.

Grundlage dafür bilden u. a. auch die in vorliegender Publikation vereinten Forschungsergebnisse:

Im Berliner Themenjahr 2013 „Zerstörte Vielfalt“, das die Ausgrenzung der rassistisch und politisch Verfolgten ab 1933 in ganz Berlin visualisierte, wurden am historischen Campus Charité Mitte zwei entsprechende Gedenksäulen aufgestellt und eine Webseite dazu eingerichtet.

Für die zentrale Ausstellung „Charité im Nationalsozialismus und die Gefährdungen der modernen Medizin“ konnte auf Themen der Ringvorlesung zurückgegriffen werden.

Auch das Künstlerteam REMEMBER erhielt Anregungen für die Themen zur Gestaltung des Erinnerungsweges auf dem Campus, der auf besondere Weise an authentischen Orten Aspekte der Geschichte der Berliner Charité während der NS-Zeit auch emotional erfahrbar macht.

Wir danken allen Autoren und den Herausgebern Sabine Schleiermacher und Udo Schagen für ihre Initiative zu dieser zweiten, überarbeiteten Auflage des Sammelbandes „Die Charité und das Dritte Reich. Zur Dienstbarkeit medizinischer Wissenschaft im Nationalsozialismus“ in der jetzt online und kostenlos zugänglichen Version, sowie Harald Riedel, durch dessen besonderes ehrenamtliches Engagement dafür die technischen Voraussetzungen geschaffen wurden.


Berlin, im Dezember 2018

Prof. Dr. med. Dr. h. c. Karl Max Einhäupl
Vorstandsvorsitzender (CEO) der
Charité – Universitätsmedizin Berlin